„Sie verlassen den anthropozentrischen Sektor!“

 Sabine Becker:

Gedanken zu einem Wochenende im Tierparadies Schabenreith 

„Alle unsere Gäste verlassen uns weinend“, sagte Doris, als es bei mir und meiner Freundin soweit war und wir abreisen mussten. Wie Recht sie hat! Auch mich hatte es erwischt, und der Abschied fiel mir schwer. Der Abschied vom wahren, sinnvollen Leben, einem Leben mit Tieren. Und der Abschied vom kleinen Rüden Michi, der es geschafft hat, in so kurzer Zeit mein Herz zu erobern.

In diesem Tierheim, das auch die Tierrettungsstation der Region ist, ist es ein authentisches gemeinsames Leben, ohne Hierarchie- und Nutzendenken. Hier werden die Tiere um ihrer selbst willen geliebt und geachtet –gerettet aus katastrophalen Zuständen. Jedes einzelne Tier hat so viel Schmerz und Leid hinter sich. Sie wurden geschunden und geschlagen, getreten und verkrüppelt, verraten und ausgesetzt. Wenn man meint, schon alles an Folter zu kennen, was Menschen Tieren antun, so gibt es doch immer wieder eine neue Geschichte, die einen sprachlos zurücklässt in Fassungslosigkeit und Wut auf diese Gattung Mensch, die sich alles nimmt und unterwirft, als hätte sie ein Naturrecht dazu, als wäre sie die einzige Art auf diesem Planeten und als würde es ihr zustehen, über alle anderen Lebewesen und die Natur zu herrschen, sie auszubeuten und zu quälen nach Lust und Laune.

Am Hoftor hängt ein Schild mit dieser Aufschrift:IMG_2868

Ich kann es nicht in Worte fassen, mit welch gutem Gefühl der Erleichterung, Freude und Zustimmung ich durch dieses Tor gegangen bin, begrüßt durch das Bellen der Hunde, die uns meldeten und gleichzeitig neugierig waren auf die neuen Besucherinnen, die das große Glück hatten, in diesem Kleinod, diesem Tierparadies, auf dieser Insel inmitten all des Menschenwahnsinns ein Wochenende lang mitleben zu dürfen.

Es ist keine Phrase, was auf diesem Schild steht. Doris und Harald Hofner-Foltin, die Besitzer dieses wunderschön restaurierten Hofes Schabenreith, leben auch, was sie sagen. Es war mir eine Freude und Ehre, diese authentischen Menschen, die ihr Leben, ihre ganze Zeit, Energie, Geld und Kraft einsetzen, um den missbrauchten, gequälten Tieren ein gutes Zuhause zu geben, sie zu pflegen und, wenn die Zeit gekommen ist, würdevoll in ihren Tod zu begleiten.

Die Tiere auf Hof Schabenreith sind auffällig entspannt, selbst in den großen Gruppen der Katzen zum Beispiel, die in mehreren ausgesprochen schön gebauten und gestalteten Volieren und in Räumen im Haupthaus untergebracht sind. Sie haben keinen Stress, das spürt man, denn sie haben herrlich viel Platz, um sich auszuweichen, wenn nötig.

Die Tiere finden hier zurück in ein Leben, das den Namen endlich verdient. Sie fühlen, dass sie ihrer Hölle entkommen und nicht mehr in Gefahr, sondern willkommen sind. Dass sich die einstmals Gequälten, oftmals auch Verstümmelten und stets Traumatisierten wieder öffnen und freudig auf uns Menschen zugehen, sollte uns demütig werden lassen. Der vertrauensvolle Blick eines Hundes, der, um nur eines von vielen Schicksalen zu erwähnen, brutal verprügelt und schließlich weggejagt wurde, mit gebrochenen Gliedmaßen ausgesetzt am Straßenrand saß und von der Tierrettung Schabenreith aufgelesen wurde, ist durch nichts aufzuwiegen. In diesem Blick liegen seine Liebe und seine Würde. Ich erwiderte seinen Blick, antwortete stumm und spürte, wie verbunden wir sind, jetzt, in diesem Moment; nichts trennt uns, wir sind beide: Leben.

Meine Freundin und ich staunten über die Größe der beiden Schweine, die hier, soweit das Auge reicht, frei herumstreifen können in den Wiesen, die sich suhlen im Schlamm, wenn ihnen danach ist, und die sich vor Wonne hinschmeißen auf den Boden, wenn sie hinter dem Ohr gekrault werden und dann sofort nach mehr verlangen, nach einem kräftigen Bauchkratzen, das offensichtlich schönste aller Gefühle. Wer ihren dicken Bauch kräftig streichelt, wird mit einem glücklichen Grunzen belohnt. Das ist ein Schweineleben! – – – Allein in Deutschland werden pro Jahr 60 Millionen Schweine offiziell geschlachtet, und doch weiß kaum jemand, wie ein erwachsenes Schwein aussieht. Die meisten Kinder und Erwachsenen kennen Schweine nur aus Bilderbüchern, von Glückwunschkarten und Maskottchenkitsch – und vor allem als Schnitzel oder Wurst auf dem Teller. Dazwischen herrscht das große Tabu, das stille Nicht-Wissen-Wollen und Verdrängen. Die Mastanlagen und Schlachthöfe sind für uns so gut wie unsichtbar, gequält und getötet wird hinter undurchsichtigen Mauern, wir können das grausame Handwerk anderen überlassen und uns auf die schön verpackten Endprodukte stürzen im Supermarkt und anderswo. Wir leben eine totale Schizophrenie: Auf der einen Seite das Phantombild des süßen kleinen Glücksschweins, das uns auch von Metzger-Werbeschildern, Fleisch- und Wurstverpackungen entgegenlacht – weil es sich so freut, dass es gemästet, geschlachtet und gefressen wird? Auf der anderen Seite ist dann die allein schon verbal so grauenhaft abgewertete Sau, die in den Zucht- und Mastbetrieben aufs Schlimmste gefoltert wird. Eines der beiden Schweine auf Hof Schabenreith sollte bei lebendigem Leib gegrillt werden als Ferkel; die Grillrunde war bierselig und alles war so lustig. Doch das Tier konnte, übersät von Brandwunden, entkommen und sich verstecken, und schließlich kam es nach Schabenreith. Vor zwei Tagen kraulte ich diesem Tier den Bauch und küsste eines seiner großen Ohren: Du hast es geschafft.

Viele haben es geschafft, an die 300 Tiere mittlerweile. Doris und Harald arbeiten mit ein paar wenigen Helfern so gut wie rund um die Uhr, sie geben alles und erreichen viel. Sie retten Tierleben, und ihre großartige Tierärztin, über die Grenzen von Steinberg am Ziehberg hinaus bekannt, vollbringt oft sogenannte Wunder. Am großen Mischlingsrüden Zwonimir zum Beispiel, bei dem vor drei Wochen ein 1,5 Kilogramm schwerer Tumor in der Milz zufällig entdeckt und sofort operiert werden musste. Er hat die schwere OP überlebt und hat nun, so die Tierärztin, noch ein halbes bis vielleicht zwei Jahre vor sich. Der Krebs macht weiter. Schabenreith ohne den ruhigen Zwoni, der mit seinem aufmerksamen Blick nach dem Rechten schaut und über den Hof schreitet, ist unvorstellbar. Ich wünsche Zwoni die längst mögliche Lebenszeit. Er wird, wenn es einmal soweit ist, in Liebe begleitet und schmerzfrei gehen dürfen, wie alle anderen. Ich habe ihn und weitere Hunde, Katzen, Schweine, Pferde, Rehe, einen Fuchs, einen Schwan und noch einige andere Tiere kennengelernt. Noch kenne ich nicht alle ihre Namen, es waren fürs Erste zu viele. Ich werde wiederkommen, soviel steht fest.

Drei wunderschöne, wertvolle Tage in Schabenreith, in denen ich die Liebenswürdigkeit und Einzigartigkeit der Tiere, die Schönheit der gerade voll entfalteten Sommerlandschaft und die herzliche Gastfreundschaft von Doris und Harald erleben durfte. Ich hatte Zeit nachzudenken und in mich hineinzuspüren, gerade auf den Spaziergängen mit den Hunden. Meine Gefühle von Vertrautheit und Glück waren intensiv.

Unsere gemeinsamen fröhlichen – selbstverständlich veganen – Essen im Kreis von Doris, Harald, Eva, Hansjörg, Marta und den Hunden Zwoni und Mitzi waren in jederlei Hinsicht ein Genuss. Doris und Harald haben den Hof so schön restauriert und bis ins letzte Detail liebevoll eingerichtet, dass ich es anfangs fast für eine Filmkulisse hielt und eigentlich nur noch auf die Kamera wartete.

Es ist wertvoll und wichtig, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und zu vernetzen. Wir alle haben ein Ziel: die Befreiung der Tiere aus ihrer durch nichts zu rechtfertigenden Rolle als Sklaven der Menschen, dazu da, um benutzt, gequält und ausgebeutet zu werden. Es ist hohe Zeit dies zu ändern, die Maßstäbe endlich zurechtzurücken. Authentische Tierhöfe wie Schabenreith haben mit der Verwirklichung begonnen.

Michi wartete am Abreisetag wieder auf mich am Tor. Er hat meine Zuneigung erkannt und kräftig erwidert. Mit seinem Lieblingskorb in der Schnauze stand er da, und er hätte es besser gefunden, wenn ich mit ihm wieder um diesen schon ziemlich zerbissenen grünen Korb „gekämpft“ oder ihm Bälle geworfen hätte und spazieren gegangen wäre, anstatt ins Auto zu steigen und wegzufahren.
„Und wann kommst wieder?“, hat mir Doris in Michis Namen in eine hübsche Karte mit einem Starfoto von ihm geschrieben. Doris ist sehr aufmerksam und kann ihren Gästen ins Herz schauen. Bald, Michi, sobald es mir wieder möglich ist, komme ich wieder! Das bedingungslose Vertrauen, die Fröhlichkeit und Liebe, die er und alle anderen verschenken an uns Menschen, habe ich als ganz wertvolles Geschenk mitgenommen. Nun schaue ich die Fotos an und vermisse ihn und die ganze Hundetruppe, das ganze Tier- und somit auch Menschenparadies.

Wir dürfen nicht aufgeben im Kampf gegen Ignoranz und Gefühllosigkeit und um eine tiefgreifende, wirksame Veränderung unserer Einstellungen und festgefahrenen Essensgewohnheiten, auch wenn es oftmals sinnlos erscheint und man geneigt sein könnte, frustriert aufzugeben angesichts all der unfassbaren Widerstände und Angriffe. Doch die Tiere brauchen uns.

Als die Schwarzen noch versklavt waren, argumentierten die weißen „Herrenmenschen“ wenig anders als die Tierschinder von heute. Auch die Nazis hatten ihre Hierarchien, wir kennen die Auswirkungen. Sie sind nun mal anders, hieß es, sie sind eben weniger wert als wir, sie sind unter uns auf der Hierarchienpyramide, und es ist richtig, sie so zu behandeln, wie es uns gefällt und nutzt, es steht uns zu. Die Menschen schaffen sich auch heute noch ganz bequem all die „Argumente“, um sämtliche Qualen an Tieren zu rechtfertigen. Rassismus und Speziesimus gehen Hand in Hand. Die Kirchen sprechen den Tieren auch noch Gefühle und ein Seelenleben ab, um den Wahnsinn komplett zu machen und die schreiende Ungerechtigkeit, das Leiden zu zementieren.

We have a dream, könnte man sagen in Anlehnung an Dr. Martin Luther Kings berühmte Rede. In Schabenreith wird dieser Traum vom respektvollen Umgang mit unseren Mitlebewesen täglich Wirklichkeit. Wir vernetzen uns weiter und hören nicht auf, alles dafür zu tun, dass immer mehr Menschen aufwachen, verstehen, (mit)fühlen – und sich trauen, konsequent zu handeln.

Sabine Becker, München
30.Juni 2014

 

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2 Antworten zu „Sie verlassen den anthropozentrischen Sektor!“

  1. Marion schreibt:

    Sabine, vielen Dank für diese mitfühlbaren Berichte über wirkliche Tierfreunde, die uns als Vorbild dienen können.

  2. Rolf schreibt:

    Zitat: „Es ist wertvoll und wichtig, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und zu vernetzen.“

    Noch wichtiger ist, sich mit NICHT-Gleichgesinnten bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszutauschen . vorsichtig und nicht missionarisch, sonst schalten sie ab.

    Ich schließe mich Marion an und bedanke mich für diesen tief empfundenen Beitrag.

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